Ich schreibe diese Geschichte zum zweiten Mal, nur diese mal mit mehr Wissen. Bevor du weiterliest, bitte ich dich die erste Version von Stolz & Vorurteil zu lesen. Die Geschichte findest du hier.
Storytelling – Übung macht den Meister
Ich beschäftige mich gerade intensiv mit dem Thema Storytelling, weil es mich einfach sehr interessiert und ich meine Kommunikationsfähigkeit sowohl in Sprache als auch in Schrift verbessern möchte. Und seit der ersten Version von Stolz & Vorurteil habe ich bereits so viel neues über das Verfassen von guten Geschichten gelernt, dass ich gerne eine zweite Version davon schreiben möchte, nur dieses Mal mit ganz viel neuen Erkenntnissen, die ich seitdem über das Schreiben und Erzählen von Geschichten gelernt habe. Außerdem habe ich mich mit einem guten Freund über die Story ausführlich unterhalten und durch das Gespräch weitere Dinge Erfahren, die ich gar nicht in der Geschichte mit untergebracht habe, die aber äußerst wertvoll für sie sind. Also hier nun Version zwei:
Version 2 meiner Geschichte
Es ist ein warmer Freitagnachmittag auf Teneriffa. Meine Freundin und ich sind auf dem Weg zu einem Leuchtturm am süd-westlichsten Punkt der Insel. Es ist einer der selteneren Ausflüge, die wir auf der Insel machen, denn wir sind hier mehr im Urlaubsmodus und wollen die Sonne, das Meer und den Strand genießen, als lange Ausflüge zu einem Leuchtturm zu machen. Dennoch wird auch das ewige am Strand Gelege irgendwann zu eintönig und eine Abwechslung muss her. Der Leuchtturm ist unsere Abwechslung.
Wir fahren mit unserem kleinen Toyota Yaris, der nicht mehr ist, als eine kleine Brotdose mit Motor, die Autobahn entlang. Das Navi zeigt uns an, dass unser Ziel 1 ½ Stunden voraus liegt. Eine halbe Stunde Autobahn und der Rest kurviges und schwindelerregendes Bergauf und -abgefahre. Unsere Brotdose kämpft mit jedem neuen steilen Hang einen bitteren Kampf, bei dem sie laut den Motor zum Angriff aufschreien lässt und ein erleichterndes Seufzen ertönt, wenn sie es bis zur nächsten Ebene der zickzackförmigen Straße geschafft hat. Meine Freundin sitzt hinter dem Steuer und feuert unsere Brotdose zu jedem neuen Kampf mit dem Berg an. Ich sitze daneben und halte mich an der billigen Plastikverarbeitung fest und bete jede Kurve aufs Neue, dass wir den bevorstehenden Kampf mit dem Berg gewinnen werden. Ich bin ein schlechter Beifahrer. Mein rechter Fuß tritt bei jeder Auffahrt auf ein imaginäres Gaspedal und bei jeder Abfahrt auf eine imaginäre Bremse. Ich bin die Art von Mensch, die sofort „Achtung“ ruft, sobald ich auch nur die kleinstmögliche Gefahr sehe. Meine Freundin kann das nicht leiden und ich kann es ihr nicht übelnehmen. Ich halte mich mit meinen imaginären Pedalen-Getrete und meinen „Achtung“-Rufen zurück und vertraue darauf, dass sie uns sicher ans Ziel bringen wird. Auf dem Rückweg werde ich fahren. So haben wir uns geeinigt. Dann habe ich die Kontrolle über unsere Brotdose, mit der ich uns hoffentlich sicher die Schlangenlinien Bergauf- und ab bringen werde. Im Hintergrund läuft ein Podcast, der nur deshalb läuft, damit das unangenehme Schweigen in der Metallbüchse etwas erträglicher wird. Zwei Stimmen aus den Musikboxen liefern das Gespräch, das wir nicht haben, denn wenn man jeden Tag und jede Minute seit Monaten zusammen verbringt, vergeht der Gesprächsstoff und alles wurde bereits gesagt, was es zu sagen gibt. Hier und da fällt ein Witz. Wir lach kurz leise in uns hinein und warten auf den nächsten.
Die Fahrt ist anstrengend. Seit die Autobahn hinter uns liegt und wir nur noch zickzack die Berge auf- und abfahren, sehnen wir uns endlich nach unserem Ziel – der Leuchtturm, der uns zeigt, dass wir es endlich geschafft haben. So wie der Leuchtturm den Seeleuten zeigt, dass endlich Land in Sicht ist. Wohlmöglich sogar die Heimat für einige. Ein Blick auf das Navi zeigt uns, dass wir nur noch zehn Minuten von unserem persönlichen Leuchtturm entfernt sind. Die Stimmung heitert sich auf. „Gleich geschafft“ denke ich. Endlich. Doch dann taucht plötzlich vor uns eine Straßensperre auf.
So kurz vor dem Ziel
Eine Schranke versperrt die Weiterfahrt auf unserer Fahrbahnseite. Die andere Seite wird von orangenen Straßenhütchen bewacht. Ein Wachmann mit einer orangener Warnweste, einem kurzen Borstenhaarschnitt und einer verspiegelten Sonnenbrille lässt gerade einen entgegenkommenden Bus passieren und stellt anschließend das Verkehrshütchen wieder als Straßenblockade an seinen Platz. Er schaut zu uns durch die Windschutzscheibe mit einem düsteren und grimmigen Blick, der uns sagt, ihr kommt hier nicht weiter. Zumindest kommt es mir so vor. Ein Blick auf das Navi verspricht uns, nur noch 10 Minuten der Straße folgen und du hast dein Ziel erreicht. Ein Gefühl der Verzweiflung steigt in mir auf. „Das kann nicht sein“ denke ich mir. Wir sind so kurz vor unserem Ziel. Wir haben fast eine Stunde lang mit unserer Brotdose gegen steile Berghänge gekämpft, ich habe mir meine imaginären Pedalentritte verkniffen und wir haben uns schlechte Witze angehört, nur um der Stille zu entkommen und jetzt scheitern wir hier vor einem grimmigen Wachmann?!
Wir fahren an die Straßenseite, um uns einen Plan auszudenken. Der Straßenwächter verkriecht sich in der Zwischenzeit in sein kleines Holzhäuschen neben der Straße, das gerade mal Platz für einen kleinen Tisch und einen Stuhl bietet und nur ein kleines Fenster besitz, das wenig Licht hereinlässt. Links neben uns erstreckt sich eine gewaltige Bergwand in die Höhe, die seinen Schatten auf uns wirft. Rechts von uns ist ein weites Tal mit Bananenplantatgen und einem dahinterliegenden kleinen Dorf zu sehen, das direkt an der Küste gebaut ist. Danach kommt nur noch das unendliche blaue Meer.
„Was jetzt?“ fragt die sichtlich erschöpfte und ernüchternde Fahrerin. Ich blicke zum Holzhäuschen. Daneben entdecke ich ein Schild, auf dem etwas auf Spanisch geschrieben steht. Mein Spanisch ist nicht sonderlich gut, aber ich kann entziffern, dass es so etwas wie Öffnungszeiten für die Straße hier gibt. „Ich google mal, was das hier soll“ sage ich und schau auf mein Handy. Im Web finde ich leider nichts zu der Straßensperre. Ich sehe nur Bilder von fröhlichen Menschen, die vor dem Leuchtturm posieren und uns auszulachen scheinen, weil wir hier vor dieser schwachsinnigen Blockade stehen und nicht dort am Ziel sind, wie sie auf ihren blöden Bildern.
Vorurteile – der Endgegner
Ich schaue zum Wachmann herüber. Er kommt mir gerade wie der unsympathischste Mensch auf der ganzen Welt vor. „Was fällt ihm ein uns unsere Weiterfahr zu versperren?“ denk ich mir und verfluche ihn innerlich. Er wirkt mir gegenüber immer bösartiger und grimmiger. „Wir steigen aus und fragen ihn, wieso es nicht weitergeht“ sage ich fest entschlossen ihm entgegenzutreten und zur Rede zu stellen. Meine Freundin nickt mit einem „uns bleibt auch nichts anderes übrig“ und wir steigen aus unserer sicheren Festung namens „Brotdose“ aus, bereit in das Gefecht zu ziehen. Auf dem Weg zum Häuschen steigt langsam die Angst vor dem griesgrämigen Wächter in mir auf. Ich versuche mir die Worte zurechtzulegen und nicht ängstlich zu wirken. Der Wachmann steht in der Tür und schaut mich durch seine Sonnenbrille an. Ich nehme meinen Mut zusammen und frage ihn „we want to go to the lighthouse, how can we get there?” Und dann geschah etwas unvorhersehbares. Der grimmige und bösartige Wachmann entpuppte sich als der freundlichste und netteste Mensch, dem ich je begegnet bin. Zumindest kam es mir in der Situation so vor. Seine Gesichtszüge formten ein herzliches Lächeln und der einstige „Endgegner“ wurde zum warmherzigen Freund, der mir helfen wollte. Er erklärte uns, dass die Straße für Autos zwischen neun Uhr morgens und sieben Uhr abends gesperrt sein, dass man aber mit dem Bus aus dem nahegelegenen Dorfe für nur einen Euro dort hinfahren könne. Ich nahm seine Worte nur wie aus einer fernen Distanz wahr, denn ich konnte nur noch daran denken, was für ein absoluter Vollidiot ich war. Wie konnte ich diesen unfassbar netten Menschen in meinem Kopf nur vorwerfen, dass er bösartig und grimmig sei?! Wieso dachte ich nur, dass er uns nicht vorbeilassen will, weil er ein schlechter Mensch sei?! Wieso bin ich nur so ein dummer Idiot, der solche Vorurteile zulässt?!
Ich kam mir in diesem Moment unglaublich klein vor und schämte mich für meine Gedanken. Dieser Mensch vor mir, ist ein unglaublich herzliche und freundliche Person, mit dem man sich wahrscheinlich stundenlang bei einer guten Tasse Kaffee über Gott und die Welt unterhalten kann und ich dachte, nur durch diese Situation geschuldet, so viel Schlechtes über ihn.
Ich dankte ihm mit einer freundlichen Geste und einem verlegenen Lächeln und wir machten uns auf in das nächste Dorf, um von dort aus den Bus zum Leuchtturm zu nehmen. Die ganze Fahrt über dachte ich an diese Situation und an meine Vorurteile gegenüber dem Wachmann. Als wir mit dem Bus die Straßensperre passierten, sah ich wie er die Hütchen beiseitenahm, uns durchließ und sie anschließend wieder auf die Straße stellte. Die Straße wurde in den kommenden paar hundert Metern so eng, dass gerade einmal der Bus Platz fand sich an den steilen Berghang lang zu schlängeln. Es machte also absolut Sinn die Straße dort zu sperren und sie nur für den Busverkehr freizuhalten.
Wir verbrachten eine Stunde beim Leuchtturm, machten schöne Bilder und genossen den Sonnenuntergang, den Ausblick und die frische Meeresluft. Auf dem Rückweg, machte ein andere Wachmann den Weg für uns frei.
Mein Leuchtturm-Moment
An dem Tag habe ich viel über Vorurteile gelernt. Wie sie entstehen, was sie mit einem machen und wie sehr man sich täuschen kann. Ich will in Zukunft nie wieder solche Vorurteile gegenüber Menschen haben, die ich nicht kenne. Sie sind idiotisch und vollkommen unbegründet. Sie sind nur ein Hirngespinst und haben nichts mit der Realität zu tun. Erst wenn man Menschen näher kennenlernt, kann man sich ein Bild über sie machen, vorher nicht.
Das war mein Leuchtturm-Moment.
Was habe ich über Storytelling gelernt?
Jede gute Geschichte lässt sich in fünf Sekunden erzählen. Diese Geschichte ist zusammengefasst nichts anderes als, „ich habe aufgrund einer blöden Situation mir unbegründete Vorurteile gegenüber einer fremden Person gemacht, die sich als äußerst falsch herausgestellt haben.“ Das ist der Kern dieser Geschichte. Alles andere habe ich nur beschrieben, um dieser Erkenntnis, noch mehr Kraft und Emotionen zu geben. Damit du verstehst, wie es dazu kommen konnte und du dich besser in mich hineinfühlen konntest. Das ist das, was ich über Storytelling in dieser Woche gelernt habe. Der Kern ist sehr simpel und lässt sich kurz zusammenfassen. Alles andere ist dafür da, um dem Kern mehr Ausdruck zu verleihen. Et Vóila – eine gute Geschichte ist entstanden.